Der „Unrechtsstaat“ ist eine Klassenfrage.

Der „Unrechtsstaat“ hat wieder einmal Hochkonjunktur. Sie beweist, wie lebendig das Andenken an die DDR auch bei ihren alteingesessenen Feinden ist. Natürlich war der 20. Jahrestag der Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik auch der 20. Jahrestag dieses provokanten Unrechtsstaatsgeschreis.

Und was tun wir als diejenigen, für die unsere DDR noch immer die bisher größte Errungenschaft der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung war und eine wichtige Erfahrung für einen neuen Anlauf zur Volksmacht in Deutschland ist? Wir gehen in die Defensive. Wir fühlen uns getroffen und beleidigt. Aber wir dürfen uns nicht beleidigt fühlen von Leuten, die mit diesem Geschrei deutlich machen, dass sie viel zu weit von uns entfernt sind, um uns überhaupt beleidigen zu können, von Gegnern im Klassenkampf.

Natürlich hetzt dieser Gegner, zumal er sich als dauerhafter Sieger fühlt. Wir aber nehmen das Gezeter dieses vorübergehend erfolgreichen politischen Gegners auf und beißen uns darin fest. Immer wieder lassen wir uns dabei einen Vergleich beider Gesellschaftsordnungen aufdrängen, der sich einzig und allein an den in Siegerpose vorgetragenen Maßstäben unserer Gegner orientiert. Wir protestieren gegen die auf dieser Grundlage gegen uns und unsere Vergangenheit erhobenen Vorwürfe und Schmähungen, fühlen uns diskriminiert und versuchen, dem zu widersprechen und uns zu wehren, aber leider eben dann meist auf gleicher, eben deren Ebene, im gleichen Denkschema und mit gleichem Begriffsverständnis. Und das geht schief. Viele von uns staunen darüber, wie hochmütig der Gegner über unsere Abwehrversuche hinwegzuschreiten vermag. Ja, wir preisen sogar jeden nennenswerten Politiker aus dessen Lager, der so gnädig oder in einem Anflug von Realismus bereit ist, auch der DDR einen Hauch von Rechtsstaatlichkeit seiner Lesart zuzuerkennen und sich dafür mehr oder weniger harte Schläge von seinen Stallgefährten einzuhandeln. Sicherlich kann uns jeder Verstoß dieser Art gegen die amtliche Delegitimierungsorder ein genüssliches Schmunzeln entlocken, mehr aber auch nicht. Denn diese Order wird damit nicht aufgeweicht. Eher verschwinden solche Abweichler aus dem politischen Rampenlicht.

Haben wir denn solche Weißspüler überhaupt nötig oder vergeben wir uns etwas, wenn wir uns vor diesen Leuten verbeugen und sie in den Rang von Fastbrüdern erheben? Sollten wir dem nicht Stolz und Selbstbewusstsein entgegenstellen? Müssen wir nicht heraus aus dieser Defensive, wieder angreifen und dabei versuchen, immer mehr unserer Mitbürger mitzunehmen? Dafür haben wir unsere DDR-Erfahrungen. Viele unserer Mitbürger haben sie auch und dazu die Erlebnisse und Erkenntnisse von heute. Sie können mitreden. Daran müssen wir anknüpfen.

Allerdings wissen wir auch: Wer die Macht, hat das Wort. Wenn wir dennoch eine Chance haben wollen, unser Wort hörbar dagegenzusetzen, müssen wir unsere eigene Ebene finden, dort unser eigenes Wort sprechen, und damit lauthals in die Offensive gehen.

Die Voraussetzungen dafür haben wir. Wir wissen, dass das geschriebene und praktizierte Recht zu jeder Zeit das Recht der jeweils herrschenden Klasse war und ist. Wir leben heute wieder unter dem Klassenrecht des Kapitalismus. In der DDR erlebten wir das Klassenrecht der Arbeiterklasse. Beide Klassen stehen sich, wie wir wissen, antagonistisch, also unversöhnlich, gegenüber. Das gilt dann zwangsläufig auch für deren Rechtssysteme. Ein absolutes, klassenunabhängiges Überrecht kann es da also nicht geben, und zwar mindestens so lange nicht, wie sich Klassen antagonistisch gegenüberstehen. Das ist eine objektive Realität.

Daran wird auch dadurch nichts geändert, dass es Parallelitäten gibt, Rechte und Pflichten, die in beiden Rechtssystemen enthalten sind, Rechtssprüche und Interpretationen von Rechtssätzen, die auf beiden Seiten zum gleichen Sachverhalt fast in gleicher Weise formuliert sind. Dabei geht es um die unumstrittenen Regeln des menschlichen Zusammenlebens, die aber dann am Ende im betreffenden Falle vom Ausbeuterrecht auch noch zum Vorteil von Exponenten der herrschenden Klasse rechtsbrecherisch hingemodelt werden. Daneben aber gibt es die riesengroßen klassenbe- dingten Unterschiede.

Wenn es kein absolutes Überrecht gibt, gibt es auch keinen absoluten Überstaat. Ein so genannter Rechtsstaat ist also stets der Staat des jeweiligen Klassenrechts. Heute ist das auch für uns der vom Klassenrecht des Kapitalismus geprägte kapitalistische Rechtsstaat. In der DDR erlebten wir den vom Recht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten geprägten sozialistischen Rechtsstaat. Beide lassen sich einfach nicht in einem Topf zusammen oder durcheinander rühren.

Dass der Begriff „Unrechtsstaat“ darüber hinaus keine verbriefte juristische Basis hat, musste schließlich auch der Deutsche Bundestag in seiner Antwort auf eine Anfrage aus seiner Fraktion der Partei DIE LINKE einräumen. Das höchstamtliche Eingeständnis, dass es hier wirklich nur um faule Propaganda geht!

Ich kann mir folgende Argumentationsbasis gegenüber allen vorstellen, die heute im Lager des Kapitalismus hocken und unser ganzes Volk mit ihrer fiesen Unrechtsstaats-Propaganda überschütten:

Aus Eurer Sicht waren wir sicher ein Unrechtsstaat. Es wäre ja auch schlimm, wenn das anders gewesen wäre; und wir sind stolz darauf, dass es so war und von Euch auch heute noch so gesehen wird. Wir haben sogar Verständnis für Eure Position. Sie ist ganz natürlich, denn schließlich hatten wir Euch für 45 Jahre gegen Euer „Recht“ von Macht und Eigentum getrennt und das von Euch so gern wie das Eure niedergehaltene Volk der DDR von Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und den anderen sozialen Gebrechen Eurer Gesellschaft befreit. Klassenkampf !

Aus unserer Sicht seid Ihr die Vertreter eines Unrechtsstaates. Wir haben dafür gute Argumente. Die besten sind das für Deutschland rechtssetzende Potsdamer Abkommen von 1945, für Euch ein wertloser Fetzen, das KPD-Verbot von 1956 durch Euern „Rechtsstaat“ und die Verrenkungen, die uns eben dieser gegenwärtig bietet, wenn es um das Verbieten rechts- radikaler, vom Potsdamer Abkommen geächteter Parteien geht.

Unsere DDR repräsentierte allein deshalb einen höheren Grad völkerrechtlicher Rechtsstaatlichkeit als Eure BRD, weil das Potsdamer Abkommen hier von Anfang an Staats- und Rechtsgrundlage war. Unsere Verfassung war vom Volk beschlossen, die Eure von den Besatzungsmächten verordnet.

Das Recht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten steht natürlich einem viel größeren Teil des Volkes viel näher als Euer Recht der Geldsäcke. Dieser Teil des Volkes stellt auch die Bewahrer und Verkünder dieses Rechts. Ein ‚Rechts’staat ist Euer Staat also nur insofern, als er, wie man so sagt, sehr eindeutig politisch ‚rechts‘ steht.

Genug! Wir sollten damit nur wirklich schnell und überall viel stärker, ungeschminkt und selbstbewusst in die Öffentlichkeit gehen. Dagegenhalten ist angesagt, denn ständige erfolglose Defensive kann auch zur Resignation führen.

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