70 Jahre Befreiung vom Faschismus! … nicht für Schwule!?! …

Im folgenden geben wir einen Artikel von Wolfgang Sluga aus der red&queer 2015/34 wieder. Wir danken der DKPqueer für die freundliche Genehmigung.

Die Hauptzahl der Schwulen in den faschistischen Konzentrationslagern wurde nicht umgebracht weil sie schwul waren, sondern weil sie schwule Juden, Sinti, Roma, Kommunisten etc. gewesen sind. Es steht also in den Sternen, wie viele Homosexuelle durch die Faschisten umgebracht wurden. Als die Faschisten 1935 den §175 verschärften, indem sie die Höchststrafe im Zuge einer Umdefinition vom Vergehen zum Verbrechen von vier Jahren auf fünf Jahre Gefängnis heraufsetzten; und die Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen aufhoben, galt der Straftatbestand als erfüllt, wenn „objektiv das allgemeine Schamgefühl verletzt und subjektiv die wollüstige Absicht vorhanden war, die Sinneslust eines der beiden Männer oder eines Dritten zu erregen“. Blicke genügten, Händchenhalten oder ein Kuss erst Recht. In der amtlichen Begründung wurde die Novellierung des § 175 mit dem Interesse an „der sittlichen Gesunderhaltung des Volkes“ gerechtfertigt, denn „erfahrungsgemäß“ habe Homosexualität die „Neigung zu seuchenartiger Ausbreitung“ und übe „einen verderblichen Einfluss“ auf die „betroffenen Kreise“ aus. Die Verschärfung zog eine Verzehnfachung der Zahl der Verurteilungen auf jährlich über 8.000 nach sich. Allein zwischen 1937 und 1939 wurden fast 100.000 Männer in der geheimen „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ erfasst. Die Gestapo konnte im Unterschied zur Kriminalpolizei jederzeit „Schutzhaft“ gegen schwule Männer anordnen. Diese Willkürmaßnahme wurden z. B. nach einem Freispruch angewandt oder wenn die bereits verbüßte Haftstrafe als zu milde bewertet wurde. Die Kriminalpolizei verfügte stattdessen über das Mittel der „Vorbeugehaft“. Ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 12. Juli 1940 bestimmte pauschal, „alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen“. Nur ca. 40 Prozent jener etwa 10.000 Männer, die aufgrund eines Vorbeugungs- oder Schutzhaftbefehls in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden, gelang es, das Terrorsystem zu überleben.

Die Homosexuellenverfolgung unterschied sich aber wie auch die Verfolgung von Kommunisten oder Sozialdemokraten grundsätzlich vom Vernichtungskrieg der Faschisten. Nicht die physische Vernichtung aller Homosexuellen war das Ziel der Nazis, das Ziel war wie zynisch das auch immer klingt, die „Umerziehung“ bzw. „Umpolung“. Erst wenn dies nicht klappt, wie auch? Folgte die physische Vernichtung. So erklären sich auch die Menschenverachtenden Versuche des dänischen SS Arztes Carl Vaernet, der im KZ Buchenwald Menschenversuche zur „Heilung der Homosexualität“ durchführte.

Schon vor der Gründung des Bonner Separatistenstaates „BRD“ gab es in den westlichen Besatzungszonen kaum Zweifel, dass der faschistische 175er weiter bestehen blieb. Nachdem 1949 das Adenauerregime durch „freie Wahlen“ an die Regierung kam, wurde alles bis dahin geltende (Un-)Recht übernommen, „soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht“. Auf dieser Grundlage kam es zwischen 1950 und 1969 zu mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen gegen homosexuelle Männer. Das sind mehr Verurteilungen als in der Zeit, als der Faschismus an der Macht in Deutschland war. Natürlich wurden auch Schwule am 8. Mai 1945 vom Faschismus befreit, wir alle wurden durch die Armeen der Antihitlerkoalition befreit. Die überspitzte Überschrift dieses Artikels sollte zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Deutschland wurde am 8.5.1945 vom Faschismus befreit, aber die Westzonen und die BRD wurden entgegen dem Potsdamer Abkommen nicht von den Faschisten befreit. Das merkten sehr schnell gewisse Minderheiten, vor allem Kommunisten und Homosexuelle. Entnazifiziert wurde im Westen mit Samthandschuhen. Verbrecher kamen sehr schnell wieder in „Amt und Würden“. Gerade unter Juristen war es üblich. So kamen Opfer des Faschismus sehr schnell wieder in den Genuss, von Nazi-Blutrichtern abgeurteilt zu werden. Zwar nicht mehr zu Todesstrafen, die diese Herren noch wenige Jahre zuvor gerne verhängten, denn die Todesstrafe war abgeschafft; aber nicht weil sie durch die Faschisten als Machtmittel ge- und missbraucht wurde, sondern um Faschisten vor dem Galgen zu schützen. Ein ehemaliges NSDAP-Mitglied hat die Streichung der Todesstrafe im BRD Grundgesetz durchgesetzt, um abgeurteilte Verbrecher gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrecher vor einer Hinrichtung zu schützen. Opfer des Faschismus jedoch, die wieder in die Mühlen der Justiz gerieten egal ob sie Homosexuelle oder Kommunisten waren, wurde strafverschärfend angerechnet, dass sie ja schon einmal deshalb gesessen haben. Wie gesagt, die BRD war nie ein faschistischer Staat. Aber ein Staat in dem Faschisten hohe Funktionen ausübten. Darunter sehr viele Juristen mit Blut an den Händen, Kriegsverbrecher konnten die Bundeswehr(macht) aufbauen, ebenso Geheimdienste. Faschisten wurden Ministerpräsidenten, Bundeskanzler und Bundespräsidenten. Die endgültige Befreiung kam für schwule Männer erst, als der §175 ersatzlos gestrichen wurde. Einige Jahre gab es dann in der BRD keine Sonderparagraphen gegen oder für Homosexuelle. Und dass es wieder so wird, dafür treten wir Kommunist_innen ein.

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