Homophobie in Russland insbesondere der KPRF

Der folgende Artikel von Thomas Knecht erscheint in der red&queer Nr. 31 (Magazin der DKP queer). Wir danken für die Genehmigung zur Vorveröffentlichung.

Die Konterrevolution in den europäischen sozialistischen Staaten 1989-1991 führte nicht nur zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch, sondern auch zu einem Zusammenbruch der Werte. Die Bevölkerung orientierte sich neu an Halt gebenden “Werten” wie Religion und Nationalismus. Daraus gingen in den folgenden Jahren sowohl faschistische, nationalistische und vor allem christlich orthodoxe sowie weitere reaktionäre Organisationen gestärkt hervor. Problematisch wird es vor allem dann, sobald solche Strukturen auch in eigentlich fortschrittlichen Organisationen Fuß fassen, wie es unter Anderem in Bruderparteien und deren Jugendverbänden geschehen ist. Wie sonst ist folgender Text zu erklären?

„In (…) sind Homosexuelle aufgetaucht und damit muss etwas geschehen. (…) Gegenwärtig bewegen sich diese psychisch kranken Menschen nur im Internet und den sozialen Netzen, aber bald werden sie auf die Straßen unserer geliebten Stadt gehen (…) Sie gehen durch das Stadtzentrum (…) und sehen dort weibische Kreaturen stehen, die ein Plakat schwenken und sich in der Öffentlichkeit küssen. (…) Homosexualität ist in allen Ideologien eine Sünde: vom Standpunkt der Natur; vom Standpunkt der Religion; vom Standpunkt gesunddenkender politischer Ideologien und Strömungen. Und generell, die uns vorangegangenen Generationen haben unser Heimatland nicht entwickelt und in Kriegen verteidigt, damit heute sexuell Perverse über die Straßen laufen und über ihre Rechte schreien. Natürlich ist es schon nicht mehr möglich, diejenigen zu „heilen“, die schon entartet sind, (…) die Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern ist dagegen möglich. Ich rufe alle Einwohner von (…) auf, unabhängig von ihren politischen Überzeugungen (Kommunisten, Nationalisten, Sozialisten usw.) in einer einheitlichen Front gegen diese Infektion aufzutreten!“

Wenn dieser Text aus Schwerin, Dresden, Dortmund oder Hannover kommen würde, könnte man meinen auf einer Seite der NPD oder einer anderen neofaschistischen oder querfrontlerischen Homepage gelandet zu sein. Dem ist aber nicht so, diese Zeilen stammen vom Leiter der Jugendabteilung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) in Omsk, Aleksej Baikow.

Es ist für uns ein unerträglicher Zustand, wenn sich eine Kommunistische Partei oder auch nur Teile von ihr sich gegenüber queer lebenden und liebenden Menschen derart verhält. Für uns ist Homophobie dem Rassismus und Sexismus wesensgleich. Denn die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder Lebensweise hat wie das andere auch nur Sündenbock- und Ablenkungsfunktion. Wie aber konnte es dazu kommen?

Nach der Oktoberrevolution wurde unter der Volkskommissarin Aleksandra Michailowna Kollontai Homosexualität legalisiert, leider hielt diese Gesetzgebung nicht sehr lange an. Schon 1933 wurde Homosexualität erneut kriminalisiert, das Scheidungsrecht verschärft und Abtreibung wieder kriminalisiert. Oft wird diese Tatsache von Verfechtern der „Totalitarismus Doktrin“ benutzt um die Sowjetunion mit dem faschistischen Deutschland gleichzusetzen. Sehr gern macht vor allem auch der LSVD und die Kriegstreiber von den Grünen davon Gebrauch. Es kommt sogar vor, dass die Namen Ernst Röhm und Nikolai Jeschow in einem Atemzug genannt werden, als „bekannte Opfer und zugleich Täter dieser totalitären Staaten“.

Wie konnte es aber in der Sowjetunion nach gut sechzehn Jahren legaler Homosexualität zu diesem Rückfall kommen? Nach meiner Meinung an fehlender Aufklärung. Von heute auf morgen wurde Homosexualität legalisiert aber es fand keine Aufklärung darüber statt. Zwischenzeitlich wurden auch die Kirchen, allen voran die russisch-orthodoxe nicht mehr an der Ausübung ihrer Handlungen gehindert, was ab 1941 sogar in Richtung Protektion und Kolaboration ging, was im Rahmen des Großen Vaterländischen Krieges sogar verständlich war.

Nach der Konterrevolution nahm der Einfluss der Kirchen, vor allem aber der russisch-orthodoxen rapide zu. Inzwischen hat die russisch-orthodoxe Kirche überall Einfluss. Nicht nur Putin sondern auch Sjuganow kann man regelmäßig in der Kirche sehn. Wladimir Michailowitsch Gundjajew seit dem 1. Februar 2009 eher durch sein alias Kyrill I bekannt, ist schon seit dem 21. Dezember 2006 Träger des Verdienstordens für das Vaterland II. Klasse, den er durch Wladimir Putin verliehen bekommen hat. Im gleichen Jahr wurde auch der Religionsunterricht an russischen Schulen wieder eingeführt und 2010 wurde ein Gesetz zur Rückgabe des 1917 enteignetem Kircheneigentum beschlossen. Immerhin dies noch gegen die Stimmen der KPRF.

Auch wenn gerade im Westen in queeren Zusammenhängen die Mär verbreitet wird, Homosexualität sei in Russland wieder kriminalisiert, ist dem trotz einiger Vorstöße kirchlicher Würdenträger (noch) nicht so. Seit 1993 ist Homosexualität in Russland wieder legal.

ABER: Durch das Verbot von sogenannter „Homopropaganda“ verhindert der russische Staat dass, was ich schon für die Zeit nach der großen sozialistischen Oktoberrevolution bemängelt habe. Homophobie bekämpfen kann man vor allem durch Aufklärung und Bildung. Da aber durch das Verbot gerade Aufklärung an Schulen verhindert wird haben wir wieder den Kreislauf der so nicht durchbrochen werden kann. Wenn wir in unseren Forderungen schreiben: „Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte, humanistische Sexualerziehung in den Schulen und in öffentlichen Jugendeinrichtungen“ ist dies in Russland nicht mehr möglich, ja sogar illegalisiert. Was in Russland erst recht nicht mehr geht ist, wenn wir schreiben: „Sexualkunde muss fester Bestandteil des Lehrplans sein, darf nicht erst in weiterführenden Schularten behandelt und nicht von einer Einwilligung der Erziehungsberechtigten abhängig gemacht werden. (…) Aufklärungsbücher/-schriften dürfen nicht als pornographisch angesehen werden, sondern müssen zu allen Lebens- und Liebensweisen erlaubt werden, sein und bleiben.“

Es wird wohl noch ein sehr langer Weg in Russland sein.

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